Das Fort Knox der Literaturübersetzung

An einem Laptop, der mit 3 Passwörtern geschützt und an den Schreibtisch angekettet wurde, übersetzten Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol in einem vorgegebenen Zeitraum von 4 Wochen das groß angekündigte neue Buch von Joanne K. Rowling „The Casual Vacancy“ (deutscher Titel „Ein plötzlicher Todesfall“). In diesem gefängnisähnlichen Zustand brüteten sie bis zu 12 Stunden am Tag. Ihre privaten Laptops zur Recherche und die Meinung der Kollegin waren ihre einzigen Bezugsquellen. Von lauter Muttersprachlern umgeben muss es wie eine Folter gewesen sein, ihnen keine Fragen stellen zu dürfen. Auch die Autorin stand für Rückfragen nicht zur Verfügung. Dass sie eine Vertraulichkeitserklärung mit hoher Strafandrohung bei Nichteinhaltung unterschreiben mussten, versteht sich von selbst.

Die LKWs, mit denen das Buch in die Buchläden geliefert wurde, waren verplombt, die Händler selbst durften die Sicherheitsverschweißung nicht vor dem Tag der Veröffentlichung entfernen und Rowling gab im Vorfeld nur wenige handverlesene Interviews. Doch trotz dieser irrwitzigen Sicherheitsvorkehrungen und der Geheimniskrämerei, über die medienwirksam berichtet wurde, blieb der große Hype auf das neueste Werk der Harry Potter-Autorin aus. Von Kritikern wird es eher als enttäuschend beschrieben – es hält nicht, was das ganze Brimborium im Vorfeld versprochen hat.

Doch ob der sozialkritische Krimi gefällt oder nicht, ob die kritisierenden Journalisten sich einfach zu sehr von dem Marketinggetue genervt fühlten, ob die Übersetzung trotz der engen Zeitvorgabe geglückt ist oder ob die beiden „Köchinnen“ den Brei verdorben haben, kann natürlich jeder selbst entscheiden. Dass das Buch in die Bestsellerliste kommt, war trotz allem von Anfang an klar. Schließlich weckt man das Interesse der Leser durch Titel wie „5 gute Gründe, warum Sie das neueste Buch von J. K. Rowling nicht lesen müssen“ eher, als dass man sie dadurch vergrault. Der gebildete Deutsche möchte sich in Gesprächen doch nicht auf vorgefertigte Meinungen berufen, sondern sich lieber selbst eine bilden.

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